Mariella Kerscher
Mariella Kerscher ist eine in München lebende Künstlerin und Gymnasiallehrerin. Das Interview fand im Sommer 2019 statt.
Was würdest du zu deiner Formensprache sagen?
Es gibt immer verschiedene Elemente. Aktuell fokussiere ich mich auf Fantasie-Perspektiven, einerseits ganz freie und andererseits von Fotos inspiriert. Da fotografiere ich zum Beispiel Kirchen. Ich mache immer, wenn ich durch die Stadt laufe oder im Urlaub bin, Handyfotos als Skizzen.
Momentan sammle ich die Fotos auf dem Handy und nutze dann das iPad als Vorlage für das Zeichnen. Ich verwende die Fotos und kombiniere diese mit realen, vergänglichen Elementen. Diese zeichne ich am liebsten von echten Schweineherzen oder Federn als Vorlage.
Ich hatte letztens einen Künstlerkollegen im Studio, um gemeinsam eine Werkbesprechung zu machen. Das war super spannend und hilfreich. Wir haben den ganzen Boden ausgelegt, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass es überall Wege gibt – die Herzen, die Räume, verschiedene Elemente und dann noch das Schreiben. Wenn man die Arbeiten aber dann so ausgebreitet vor sich sieht, verwebt es sich doch und sieht nach einer gewissen Ästhetik aus, die man entwickelt hat. Da ist es sehr schön alles von unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, da mein Kollege nochmal ganz andere Sachen herausgegriffen und Parallelen und Bezüge hergestellt hat, die ich schon lange gar nicht mehr gesehen hatte.
Eine Anregung war jedenfalls, dass es gerne noch größer werden kann, noch gestischer. Noch mehr aus dem ganzen Körper heraus. Diese Werke hier sind ja noch ganz klein gefriemelt in DIN A5.
Dann sind diese hier schon viel mehr konstruiert und die Komposition ist total geplant und viel starrer aber auch schon viel flächiger, größer.
Sobald das Format noch größer wird, muss man das ganz anders bewältigen mit Stiften.
In naher Zukunft will ich auf jeden Fall großflächig arbeiten und diese vielen kleinen Strukturen ins Große übertragen.
Fandest du es im Gespräch beruhigend, dass man inzwischen eine gewisse Ästhetik wahrnehmen kann?
Weniger für außen, aber für mich innerlich auf jeden Fall. Das Gefühl zu haben, dass alles doch einem roten Faden folgt. Man möchte so oft alles gleichzeitig machen, das ist allgemein mein Problem. Ich habe das Geschriebene, das Skizzenbuch ist angefangen, das Raumbuch ist angefangen, die Herzen, etc und dementsprechend fühlt es sich manchmal alles sehr fliegend an. Ausgebreitet habe ich gesehen, dass es sich jetzt doch immer wieder verbindet. Ich habe vor zwei Jahren schon einmal solche Skizzen entwickelt, so entsteht dann eigentlich fast wieder ein Zyklus. Ich sehe die Bilder sowieso oft als Zyklus, als etwas, das sich kreisförmig entwickelt und wiederkehrt in leicht veränderter Form. So entwickelt sich ein Kosmos und das war sehr schön zu sehen. Dann glaube ich wieder, dass vielleicht nur ich sehe, dass sich die Sachen vernetzen und andere nicht, aber ich denke, wenn man das immer weiter macht und immer mehr in seiner Sammlung hat, dann wird’s zwangsläufig auch für alle anderen irgendwann ersichtlich.
Du hast in einer Klasse an der Akademie mit dem Schwerpunkt Bildhauerei und Installation studiert. Was reizt dich an dieser Form und warum hast du dich jetzt davon abgewendet und deinen Fokus verstärkt auf Zeichnungen gesetzt?
Ich hatte mich ursprünglich mit Zeichnung und Malerei an der Akademie beworben und komme vom Bildlichen. Das Dreidimensionale war zuerst ein Experiment und dann habe ich aber dadurch zu meinem Thema gefunden und habe es später dann versucht wieder in das Zweidimensionale zu transformieren, nachdem ich eine klare Ästhetik und Formensprache gebildet hatte. Ich stellte mir die Frage wie man das in den Ursprung zurückbringen könne, wie es dann überhaupt funktioniere. Und es funktioniert erst mal ganz anders. Ich habe echt lange gebraucht, um dann wieder ein Bild zu machen.
Hast du an der Akademie mit dem bildenden Kunst Studiengang angefangen?
Nein, ich habe Kunstpädagogik studiert. Vom künstlerischen Studium her unterscheidet sich das aber eigentlich kaum. Man hat genauso einmal im Semester eine Klassenbesprechung, zeigt seine Arbeiten und bespricht diese. Es werden einmal im Jahr neue Studenten in die Klasse aufgenommen und einige Absolventen gehen. Das ist ein sehr gutes Prinzip, denn auf diese Weise fängt man nicht nur mit Erstsemestrigen an, sondern stellt eventuell seine Arbeit gemeinsam mit jemandem vor, der in einem halben Jahr seinen Abschluss macht. Beide Arbeiten werden jedoch gleichermaßen ernsthaft besprochen.
Studiert man Kunstpädagogik mit der Absicht Lehrer zu werden?
Das ist ganz individuell, glaube ich, was auch ein bisschen das Problem an den bayerischen Gymnasien ist. Die wenigsten kommen mit der Absicht sofort fest Lehrer zu werden. Die meisten sind in der Akademie um Kunst zu studieren und machen dann ihren Abschluss in Kunstpädagogik.
Aus Sicherheit falls man doch Lehrer werden muss?
Genau, es ist ja ein schöner Beruf und sehr naheliegend, allerdings ist er in Deutschland in Künstlerkreisen irgendwie verpönt. In anderen Ländern ist es viel gängiger, dass man auch unterrichtet. Schließlich ist man ja Experte auf dem Gebiet. Die wenigsten schaffen es, gut von der Kunst zu leben, ohne etwas anderes machen zu müssen. Schon gar nicht direkt nach dem Studium.
Ist es üblich, dass Kunstlehrer weiter als Künstler aktiv sind?
Ich glaube je nachdem, wie viel man unterrichtet, ist es schwer noch genug Zeit und Kraft aufzubringen. Ich finde es einen schönen Beruf und ein sicheres Grundeinkommen, was wiederum die eigene künstlerische Arbeit entspannt, da der Druck irgendetwas zu verkaufen oder sich nach dem Markt richten zu müssen nicht da ist. Ich kann mich bei Ausstellungen, bei denen ich gerne mitmachen möchte, bewerben und hab keine Sorge, die mich dabei beeinflusst. Letztlich entscheidet jeder selbst, wie aktiv er in dieser Sache sein möchte.
Könntest du dir vorstellen als bekannte, gut verdienende Künstlerin weiterhin an der Schule zu unterrichten?
Angenommen es wäre so, dann wäre es der totale Luxus ins Umgekehrte. Ich kann mir schon vorstellen in dem Fall weiterhin ein paar Schulstunden zu geben, denn man könnte wieder eine neue Generation begeistern. Ich finde es sehr wichtig, dass es einem gelingt die Schüler ins Museum zu bekommen oder auch für zeitgenössische Kunst und fürs Machen zu begeistern. Ich merke oft, dass die Schüler gar nicht wissen, dass es Künstler gibt, die gut davon leben können und es einfach ein krasser Job ist, den viele ausüben und der sich auch immer wandelt. Da ist es dann schön zu beobachten wenn sie ein Aha-Erlebnis haben.
Bringst du deinen Schülern auch deine Kunst mit oder versuchst du das zu trennen?
Weder das Eine, noch das Andere. Es fließt auf jeden Fall gegenseitig ein. Einmal hatte ich zufällig zwei, drei Arbeiten dabei und die Schüler haben mich danach gefragt, also habe ich spontan meine Arbeiten ausgebreitet und gezeigt. Das fanden die total interessant.
Im Fokus sollte aber dennoch der Stoff stehen und nicht meine Arbeiten. Ich mache natürlich Sachen, die mir auch Spaß machen würden, weil dann sprüht es einfach mehr im Unterricht. Raum habe ich zum Beispiel ganz ausgiebig mit der siebten Klasse durchgenommen. Das steht zwar auch im Lehrplan, aber ich habe den Fokus so gesetzt, dass die Bleistiftzeichnung mit Perspektiven richtig intensiv durchgenommen wurde und sehr spannende Bilder dabei rauskamen.
Hast du Vorbilder?
Ich habe ganz viele Lieblingskünstler beziehungsweise meinen eigenen Kanon an Künstlern und Literatur oder Musik, die ich gerne höre. Die Künstler sind aus verschiedenen Zeiten aber es gibt auch viele zeitgenössische – manche, die malen und manche, die auch dreidimensional arbeiten. Eine meiner Lieblingskünstlerinnen ist Berlinde de Bruyckere. Die arbeitet viel mit toten Tier-Fragmenten oder zum Beispiel Pferdefell und Vitrinen.
Hast du auch Lehrer die dir ein Vorbild sind?
Grundsätzlich motivieren mich Kollegen, die selbst künstlerisch aktiv sind, bei denen beides gut funktioniert. Der innere Antrieb ist bei mir die Kunst und nicht das Lehrerdasein. Man teilt das aber mit den Schülern und versucht es zu versprühen.
Wie bildest du dich weiter?
Ich war neulich in einer öffentlichen Akademie-Vorlesung von der Kunst-Philosophie und fand das total bereichernd. Außerdem gibt es an der Akademie die Vortragsreihe Jour-Fixe und man kann einfach so hin. Ich weiß nicht wie es momentan ist, aber es kamen eine zeitlang wirklich spannende und große Künstler. Ich schaue mir selber viel Kunst an und lese viel für mich oder gehe in die Bibliothek.
Für die Schule recherchiere ich oft über Künstler oder Kunstgeschichte, gerade fürs Abitur in der 11. und 12. Klasse. Manche Schüler machen mündliches oder auch schriftliches Abitur. Da muss man selber dann schon fit sein.
Wenn du dich unfokussiert oder überwältigt fühlst, was machst du dann?
Ich überlege mir das nicht ganz konkret, aber wenn ich merke, dass nichts mehr bei der Arbeit rauskommt, dann mache ich einfach wieder etwas anderes in einem anderen Bereich. Dann würde ich wieder schreiben oder vielleicht doch einfach wieder ans Skizzenbuch gehen, wenn ich merke an dem Großen funktioniert gerade etwas nicht.
Teilweise muss ich mich bei den Zeichnungen aber auch zwingen durchzuhalten, besonders bei den Details. Da kommt es einem dann zumindest mal wirklich wie Arbeit vor. Das ist ein Punkt, den viele nicht verstehen. Es heißt oft: “Viel Spaß im Atelier!” So setzt sich das dann im Kopf fest, dass es nur Spaß ist, weil man ja nur das schöne Ding tut und ganz so ist manchmal dann auch nicht. Natürlich gibt es Tage an denen man lieber das schöne Wetter genießen würde, aber dann zwingt man sich doch etwas fertig zu machen und will das auch fertig bekommen.
Wie holst du dir neue Inspiration?
Sonntag freinehmen ist sehr gut. Das ist wichtig für die Inspiration, einfach rauszugehen oder auch Städtereisen zu machen. Das muss schon sein. Besonders aber die Natur, der Wald oder Flüsse inspirieren mich immer total.
Bist du zufrieden mit deinem Kosmos?
Zufrieden ist so ein Stichwort. Ich glaube, ich bin nie zufrieden und oftmals denkt man sich, vielleicht wäre Zufriedenheit sowieso der Endpunkt. Ich versuche diese Unzufriedenheit immer ein bisschen als Motor zu nutzen, denn ich bin chronisch unzufrieden.
Ich denke mir besonders oft, dass ich gerne mehr Zeit hätte, um nur eine Sache zu machen. Dafür die Zeit anhalten und dann für die nächste Sache auch wieder.
Es ist aber wirklich ein Motor, denn ich freue mich dann auch immer wieder auf das Andere. Das ergänzt sich ganz gut.
Einen Hauch von Zufriedenheit erlange ich vielleicht, wenn ein Bild ein Stadium erreicht hat in dem ich merke, dass etwas, was ich nur im Kopf hatte wirklich funktioniert, denn auf Papier entwickelt sich das ja doch oft anders. Dann bin ich ganz kurz zufrieden und dann denke ich mir wieder, dass ich es aber noch mal so ausprobieren müsse. Jetzt noch zwei Perspektiven oder das Herz doch noch einmal ganz anders.
Wer mehr über Mariella erfahren möchte, kann ihre Webseite besuchen.